Einkommensungleichheit in Deutschland steigt - Sorge reicht bis in Mittelschicht
Die Ungleichheit bei den Einkommen in Deutschland ist seit 2010 deutlich gewachsen. Zugleich stiegen die Ängste bis in die Mittelschicht hinein, den eigenen Lebensstandard nicht mehr halten zu können: Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Verteilungsbericht, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Montag vorstellte. Die Befunde zeigten, "dass Deutschland in einer Teilhabekrise steckt, die sich in den vergangenen Jahren verschärft hat", schrieben die Autorinnen und Autoren.
Die Quote der Menschen, die in Armut leben, hat der Untersuchung zufolge erheblich zugenommen und liegt auf einem Höchststand. Im Jahr 2021 lebten demnach 17,8 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, 11,3 Prozent sogar in strenger Armut. 2010 lagen die beiden Quoten noch bei 14,2 beziehungsweise 7,8 Prozent.
Von Armut sprechen die Studienautoren bei Menschen, denen weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens in Deutschland zur Verfügung stehen. Unter strenger Armut verstehen sie Fälle, wo diese Quote unter 50 Prozent fällt.
Bei Menschen, die etwas über der Armutsschwelle liegen, sprechen die Studienautoren von einer "prekären Einkommenssituation". Ihr Anteil ging von 2010 bis 2021 leicht von 17,7 auf 15,1 Prozent zurück.
Der Mangel an Einkommen präge den Alltag und schränke soziale Kontakte ein, heißt es in der Studie. Im Jahr 2021 - also noch vor dem Beginn der Inflationswelle - hatten mehr als 40 Prozent der Armen und über 20 Prozent der Menschen in der Gruppe mit prekären Einkommen keinerlei finanzielle Rücklagen, um kurzfristige finanzielle Notlagen zu überbrücken. Rund zehn Prozent der Armen waren zudem finanziell nicht in der Lage, abgetragene Kleidung zu ersetzen.
Über die Coronakrise und den Inflationsschub zwischen 2020 und 2023 hätten sich Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage bei vielen Menschen noch einmal deutlich verschärft - "und zwar unter Ärmeren sowie bis weit in die Mittelschicht hinein", heißt es in der Studie. Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte, aber auch knapp 47 Prozent in der oberen Mittelschicht, fürchteten demnach im vergangenen Jahr, ihren Lebensstandard zukünftig nicht mehr halten zu können.
Mit materiellen Einschränkungen und Zukunftssorgen gehe vor allem bei ärmeren Menschen eine erhebliche Distanz zu wichtigen staatlichen und politischen Institutionen einher, warnen die Studienautoren. Weniger als die Hälfte der Armen und der Menschen mit prekären Einkommen finde, dass die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen gut funktioniert. Sie sähen für sich auch nicht die Möglichkeit, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Rund ein Fünftel vertraue dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße.
"Die Gruppe der Armen ist nicht nur seit 2010 größer geworden, sie ist zudem im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte noch ärmer geworden", erklärten die Studienverantwortlichen Dorothee Spannagel und Jan Brülle. Für arme Menschen stünden "unmittelbare materielle Mangellagen im Vordergrund, und ein Teil von ihnen wendet sich relativ deutlich vom politischen System ab".
Angesichts der Entwicklung sei es "entscheidend, das Teilhabeversprechen glaubhaft zu erneuern, das konstitutiv ist für eine demokratische, soziale Marktwirtschaft", erklärte Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. "Dabei muss die Politik das Rad nicht neu erfinden. Sie sollte vielmehr über Jahrzehnte bewährte Institutionen wieder stärken, die leider erodiert sind." Dazu zählte Kohlrausch Tarifverträge, eine auskömmliche gesetzliche Rente und eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur.
Für den Verteilungsbericht werteten die WSI-Fachleute die aktuellsten vorliegenden Daten aus repräsentativen Befragungen des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) aus, für das rund 13.000 Haushalte jedes Jahr interviewt werden.
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