Boeing drohen neue US-Ermittlungen zu Abstürzen vor mehr als fünf Jahren
Der Druck der US-Behörden auf den Flugzeugbauer Boeing nimmt weiter zu: Mehr als fünf Jahre nach den Abstürzen von zwei 737-MAX-Maschinen mit insgesamt 346 Toten hat das Justizministerium in Washington mitgeteilt, dass der Konzern deswegen erneut strafrechtlich verfolgt werden kann. Eine Vereinbarung mit den US-Behörden von Anfang 2021 zur Einstellung der Ermittlungen sei nicht mehr gültig, da Boeing gegen darin eingegangene Verpflichtungen verstoßen habe, teilte das Ministerium am Dienstag mit.
In einem Schreiben an einen Bundesrichter in Texas teilte das Justizministerium mit, dass es im Zusammenhang mit den damaligen Unglücken die mögliche Neuaufnahme von Ermittlungen gegen den Flugzeugbauer wegen Verstößen gegen US-Bundesgesetze prüfe. Boeing muss damit befürchten, wegen Betrugs der Behörden bei den Zulassungen der 737-MAX belangt zu werden. Der Konzern steht ohnehin schon wegen zuletzt aufgetretener neuer Pannen bei der 737-MAX und anderer Maschinen sowie Vorwürfen mangelnder Qualitätskontrolle unter starkem Druck der US-Behörden.
Das Justizministerium teilte nun mit, dass Boeing es versäumt habe, ein Compliance- und Ethikprogramm zu entwickeln, einzuführen und durchzusetzen, "um Verstöße gegen die US-Betrugsgesetze zu verhindern und aufzudecken". Das Ministerium forderte nach eigenen Angaben den Konzern auf, bis zum 13. Juni Stellung zu beziehen.
Boeing erklärte hingegen in einer Mitteilung an die Nachrichtenagentur AFP: "Wir glauben, die Bedingungen dieser Vereinbarung erfüllt zu haben." Das Unternehmen kündigte an, mit dem Ministerium "mit der größtmöglichen Transparenz" zusammenarbeiten zu wollen, so wie es das Unternehmen schon in den vergangenen Jahren bei der Umsetzung der Vereinbarung getan habe.
Nach den Abstürzen der zwei 737-MAX-Maschinen im Oktober 2018 in Indonesien und im März 2019 in Äthiopien hatte Boeing in der Vereinbarung mit den Behörden erreicht, dass seine Strafverfolgung wegen Betrugs eingestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor dem Unternehmen vorgeworfen, den Aufsichtsbehörden Informationen über ein Stabilisierungssystem vorenthalten zu haben, das nach Erkenntnissen der Ermittler vor den Abstützen versagt hatte. Nach den beiden Unglücken galt mehr als anderthalb Jahre lang ein weltweites Flugverbot für die 737-MAX.
Im Gegenzug für die Einstellung der Ermittlungen willigte Boeing in der Vereinbarung vom 7. Januar 2021 in eine Reihe von Auflagen sowie in die Zahlung von 2,5 Milliarden Dollar (2,3 Milliarden Euro) ein: Diese enthielten eine Geldstrafe von 243,6 Millionen Dollar, 1,77 Milliarden Dollar Entschädigung für Boeing-Kunden und 500 Millionen Dollar für einen Entschädigungsfonds für die Hinterbliebenen der Absturzopfer.
Das Justizministerium kündigte nun an, im Zuge seiner Prüfung des weiteren Vorgehens auch die Familien der Todesopfer konsultieren zu wollen. Auch nach der Vereinbarung vom Januar 2021 waren Angehörige der Opfer weiter juristisch gegen Boeing vorgegangen. Der Bundesrichter im US-Bundesstaat Texas hatte erst vergangenes Jahr eine Anfechtung der Vereinbarung durch Hinterbliebene zurückgewiesen.
Die jetzige Entscheidung des US-Justizministeriums, die damalige Vereinbarung zu annullieren, nannte der Anwalt Paul Cassell, der Familien der Opfer vertritt, einen "positiven ersten Schritt". Jedoch seien weitere Schritte des Ministeriums erforderlich, "um Boeing zur Rechenschaft zu ziehen".
Für Boeing kommt die Aufkündigung der Vereinbarung vom Januar 2021 zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Der Konzern sieht sich derzeit bereits mit Untersuchungen der US-Behörden wegen einer dramatischen Panne an einer 737-MAX der Alaska Airlines zu Jahresbeginn konfrontiert. Dabei hatte sich während des Fluges eine Kabinentürabdeckung gelöst, was eine Notlandung zur Folge hatte. Auch bei anderen Boeing-Maschinen gab es in den vergangenen Monaten technische Pannen.
Die US-Flugaufsichtsbehörde FAA verhängte nach der Panne bei der Alaska-Airlines-Maschine einen vorübergehenden Produktionsstopp der 737-MAX, Boeing-Chef Dave Calhoun kündigte nach dem Vorfall seinen Rücktritt zum Jahresende an. Der Konzern sieht sich auch mit Vorwürfen mangelnder Sicherheit seiner Dreamliner-Modelle konfrontiert. Ein Boeing-Ingenieur hatte sich mit solchen Vorwürfen als Informant an die FAA gewendet und dazu auch im April im US-Senat ausgesagt.
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